Heute möchte ich eine Geschichte aus meiner wilden Jugend erzählen. Jugend? Kann man 9 Jahre schon als Jugend bezeichnen? So richtig Kindheit ist das ja auch nicht mehr, oder?
Egal. Ich hatte damals einen guten Kumpel: Peter. Peter hatte einen coolen englischen Nachnamen, weil sein Papa Engländer war, der sich aber zwischenzeitlich von seiner Frau getrennt hatte. Den Nachnamen werde ich selbstverständlich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht nennen. Peter und ich haben allerlei Blödsinn gemacht. Besonders gefiel mir, dass er ganz gut was in der Birne hatte und sich nicht nur mit Belanglosigkeiten aufhielt, die zeitweise natürlich auch mal lustig sein können – beispielsweise wilde Schießereien zwischen parkenden Autos mit zwei Dutzend anderen Jungs. Oft drödelten wir zwei einfach durchs Viertel, schauten uns hier um, schauten uns dort um. Beispielsweise entdeckten wir, als das Ruhrlandmuseum in den frühen 80ern gebaut wurde, ein nettes Loch im Bauzaun. Nach Feierabend der Bauarbeiter schlichen wir durch das Loch und kletterten auf der Baustelle herum, bis es dunkel wurde.
An einer Ecke in der ungesicherten zweiten Etage entdeckte einer von uns – ich weiß wirklich nicht mehr, wer von uns beiden es war – ein paar leere Bierflaschen. Wir zwei, nicht doof, hatten gleich die Idee, die Flaschen zu sammeln. Wir schauten nach einer ollen Plastiktüte und stopften die dreckigen Flaschen da rein. Irgendwann hatten wir zwei Tüten voll und kletterten wieder durch das Loch im Zaun auf die Straße. Dann klapperten wir Buden ab, um das Pfandgeld zu kassieren. Ein paar Buden weigerten sich, die dreckigen Flaschen anzunehmen. Unter anderem mit der Begründung, dass die doch sicher nicht von uns seien. (Das sollte man mal einem Flaschensammler heute erzählen, der holt aber die Hartz-IV-Keule aus dem Wägelchen – zu Recht!)
Egal. Wir hatten unser Glück auch an der Stammbude bei uns in der Straße probiert. Das heißt, es gab zwei Buden, an jeder Ecke eine. Die eine wurde von einem betrieben, der wahlweise der Lange oder der Doofe genannt wurde (weil er sich beim Zählen irgendwelcher Weingummis, Brause-Ufos, Leckmuscheln oder Kokosschokoladestücken nicht sehr geschickt anstellte). Leider war die Bude vom Langen auf dem Weg von der Grundschule nach Hause. Hatte man also dreißig oder vierzig Pfennig in der Tasche, war klar, wo man die nach der Schule in Süßwaren umtauschte, die man mit den besten Freunden teilte – Ehrensache!
Die andere Bude, die heute ein Geschäft für Kinderklamotten beinhaltet, wurde von einem Mann geführt, der aufgrund eines gewissen körperlichen Merkmals nur der Dicke genannt wurde. Der Dicke hatte eine spitze, hängende Unterlippe, so lange spitz ausgezogene Augenbrauen und bescheidenen Haarwuchs auf dem Kopf. Manchmal erwischte man ihn dabei, wie er ein Pornoblättchen namens Happy Weekend las (natürlich wurde mir erst Jahre später bewusst, was da so rumlag, als nämlich ein Schulfreund regelmäßig Happy Weekend u. Ä. bei Tankstellen klaute). Zu dem Dicken hatte meine Familie ein besonderes Verhältnis. Einerseits war er meist etwas günstiger als die andere Bude, andererseits gab es einmal eine mehrstündige Fehde zwischen ihm und meiner Familie und das war so:
Klein-Totte hatte monatelang jeden Pfennig gesammelt, den er in die Finger kriegen konnte, um – ja was wohl? – Süßkram zu kaufen. Ich warf dem Dicken ca. eine Mark fuffzich auf den Tresen, um mir weiterverarbeiteten Zucker zu besorgen, aber der Dicke sagte nur: Den Schrott nehm ich nich an!
Klein-Totte war aufgelöst, sah sich dem Zuckerhimmel doch bereits so nahe und ward doch am Eingang ins Elysium der Kohlenhydrate gehindert. Was tun? Klein-Totte hatte zu dieser Zeit noch einen funktionierenden, also lebenden Papa, der half. Der latschte nämlich kurzerhand zum Dicken und machte ihm mal eben klar, dass es sich dabei sehr wohl um Geld handelt (dass sich der Herr Papa dazu – wie in damaligen meiner Vorstellung – gewisser Bud-Spencer-Techniken bediente, entspricht höchstwahrscheinlich nicht den Tatsachen). Nach diesem Ereignis nun war es fürderhin kein Problem, beim Dicken in Viertel geschnittene Pfennige als Tauschmittel loszuwerden.
Zurück zu den Bierflaschen. Zur Zeit des großen Flaschenraubs war mein Papa längst tot, Peter und ich kämpften uns also vaterlos durchs erbarmungslose Viertel (so hatte ich das übrigens noch nie betrachtet). Wir zwei beiden hatten beim Dicken Erfolg und waren nun nach dem Deal Glas gegen Money im Besitz eines kleinen Vermögens.
Doch was tun? Nach Hause konnten wir das kriminell zusammengestohlene Kapital kaum bringen, es musste heimlich durchgebracht werden, damit nicht auffiel, wie reich wir plötzlich waren. Da entwickelten wir einen teuflischen Plan! Meine Mutter hatte zwischenzeitlich das Rauchen begonnen, erst R6, später R1 – die Leichte. Eigentlich durften meiner trüben Erinnerung zufolge schon damals Kinder keine Zigaretten kaufen, ebensowenig Bier. Aber aufgrund der Bekanntschaft hatte ich einen Sonderstatus als Drogenkurier inne. So durfte ich auch für eine Nachbarin allabendlich eine Flasche Hannen-Alt holen, womit ich mir ein paar Groschen die Woche verdiente (das war übrigens die Nachbarin, wegen der meine Mutter einst die Geschicke der Bundesrepublik in ihren Händen hatte). Und es war mir ebenfalls erlaubt, Zigaretten für meine Mutter zu besorgen, zumindest beim Dicken.
Peter und ich wollten nun das große Ding drehen: Zichten besorgen(!) und dann selber(!!) rauchen(!!!).
Okay, ich gebe es zu: Meine ältere Schwester hatte bereits mehrfach einzelne Zigaretten geklaut und heimlich zu rauchen probiert. Ich selbst muss auch mal daran genuckelt haben, aber geschmeckt hat es mir sicher nicht. Doch diesmal war es ein ganz anderes Kaliber: der verbotene Erwerb gleich einer ganzen Schachtel!
Ich hab, das räume ich gern ein, Blut und Wasser geschwitzt, als ich die Schachtel gekauft habe. Total übertrieben wies ich darauf hin, dass ich JA FÜR MEINE MAMA ZIGARETTEN HOLEN SOLL! Dass dem Dicken das nicht aufgefallen ist?! Aber gut, vielleicht war es dem Happy-Weekend-Leser auch egal.
Ich klaubte die Schachtel von dem abgegriffenen Furnier der Theke und schritt unter wildem Herzklopfen hinaus. Um es nicht zu auffällig zu gestalten, wartete Peter draußen, steuerte sozusagen seinen Teil der Fluchtmöglichkeit.
Es war warm an dem Tag. Vielleicht nicht gerade heiß, aber doch warm. Jetzt waren wir im Besitz von uns verbotenen Drogen – unfassbar! Doch was damit tun? Natürlich hatte ich vorgesorgt und bereits Streichhölzer dabei. Aber wo sollten wir rauchen? Bei uns zu Hause ging es nicht, das war klar. Peter wohnte in einem Haus, wo man auf dem Hof gar nicht spielen durfte. Bei mir auf dem Hof konnte man zwar spielen, auch mal mit einem Fußball die Glastür zum Flur zerschießen, ohne allzu viel Ärger zu bekommen. Aber rauchen? Da wäre sofort der Schreinermeister angekommen, der berechtigte Sorgen um seine Holzvorräte hatte. Der hatte meine Schwester bereits beim Rauchen und/oder Zündeln erwischt (das konnte nie einwandfrei geklärt werden, die Delinquentin verweigert bis zum heutigen Tag die Aussage; Beweismittel A war ein großer Blumentopf in der Garage mit verbranntem Papier).
Okay, Peter und ich brauchten einen Plan. Und eine Location für unsere Drogenerfahrung. Uns kam eine Idee: der zweite Ausgang der Grundschule. Da gab es eine Treppe, unter der man sich verstecken konnte. Kaum einsichtig, und auch der Hausmeister drückte sich in dem Bereich des Schulhofs nie herum. Unauffällig wie zwei flüchtige Bankräuber mit einem Bus voller prominenter Geiseln kreuchten wir um eine Hausecke, dann um die nächste, wir überquerten eine große Straße, die vierzig Jahre zuvor kurzzeitig Joseph-Göbbels-Straße hieß und kletterten über den ewig verschlossenen zweiten Hofeingang der Grundschule direkt vor der besagten Treppe. Wir werden uns fraglos permanent umgeguckt haben, bevor wir unter den Stufen verschwanden und die Packung erwartungsvoll öffneten. Jeder klaubte eine dieser coolen Stengel hervor, dann schnappten wir uns ein Streichholz und – zawusch! – schon glimmten knisternd die schmalen Tabakzylinderchen.
Ich weiß nur noch wenig vom Rest des Tages, vermutlich weil es von der Spannung zuvor überlagert wird. Aber ich kann mich noch daran erinnern, wie cool wir uns fühlten. Das heißt, cool haben wir es sicher nicht genannt, es war eher eine Zeit, in der wir begannen, das Botanikerwort geil auf alles anzuwenden, was uns gut, interessant, angenehm oder erstrebenswert erschien. Erst später gesellte sich die Steigerungsform des affentittengeil bzw. oberaffentittengeil hinzu.
Tja. Peter und ich rauchten schwer hustend wohl jeder zwei, drei Zigaretten, verbargen die Schachtel an einem geheimen Ort, den nur wir zwei kannten und probierten es ein paar Tage später erneut. Danach packte ich Zigaretten ca. 10 Jahre nicht mehr an und selbst danach nur sehr, sehr sporadisch, eher so Einzelstücke in hochbetrunkenem Zustand, wenn es mir Der Tequila schmeckt einfach oberaffentittelgeil! ging.
Und das war die Geschichte mit Peter und den Bierflaschen aus dem Museum.
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