Im Voodoo-Museum (4)

Wo alte Kulturen zerbrechen, zerbricht mehr als die Religion. Es zerbrechen Rituale, Informationswege und vieles mehr. Beispielsweise gibt es in Westafrika einen Geheimbund, in dem Männer mit Masken die sogenannten Mama Benzes spielen. Mama Benzes sind die dicken Marktfrauen, die es zu Reichtum gebracht haben, daher auch der Name: Benz. Die „Mama Benzes“ des Geheimbundes sind nun dazu da, regelmäßig bei Feiern die Wahrheit zu sprechen. Sie erzählen und erklären den Dorfbewohnern die Welt. Durch die Masken geschützt sind sie in der Lage, gerade unangenehme, peinliche oder sonst tabuisierte Wahrheiten auszusprechen. Dazu gehört, dass sie vor Aids warnen und darüber aufklären. Auffallenderweise ist die Aidsrate in Afrika ausgerechnet da am geringsten, wo der Voodookult mit seinen Geheimbünden das letzte Refugium hat.

Das gleiche gilt für die Verbrechensrate. Im Einzugsgebiet des Voodoo in Westafrika war die Verbrechensrate auf dem Land bislang verschwindend gering.

Geschah dennoch mal ein Verbrechen, handelt es sich meist um Diebstahl. Sehr selten, zumeist bei Erbstreitigkeiten, auch mal um Mord oder Totschlag. Für solche Fälle gibt es in den Dörfern den Jujumann. Er ist Ermittler, Richter und Henker in einer Person.

Das Kostüm des Jujumanns sieht furios aus. Eine bunte Kapuze mit Augenschlitzen und einer möhrenförmigen Nase schützt die Identität desjenigen, der den Jujmann verkörpert. Er trägt eine schwarze, abgewetzte Weste, die mit Tierschädeln und anderen abschreckenden Objekten geschmückt ist. Der Ethnologe bemerkt nicht ganz zu Unrecht, dass wohl „so mancher Rocker neidisch auf die Kutte wäre“.

Um Diebe zu überführen, bedient sich der Jujumann eines Wahrheitsdetektors ganz besonderer Art. Es ist ein langer Stab, mit Kräutern und Stoff umwickelt. An einer Seite schaut ein Schlüssel heraus. Wurde ein Diebstahl begangen, bestellt sich der Jujumann alle Dörfler vor seine Hütte. Dann kommt er raus, hält den Stab am Schlüssel fest, um mit ihm an allen Bewohnern des Dorfes vorbeizugehen. Vor dem Dieb, so die allgemein bekannte Legende, schlägt der Stab aus.

Der Ethnologe erzählt, dass er die Prozedur schon einige Male erlebt, aber noch nie, dass der Stab ausgeschlagen habe. Trotzdem wurde der Dieb stets überführt, denn sobald der Jujumann aus der Hütte kam, lief immer einer davon. Damit ist der Dieb überführt.

Anders verläuft die Verurteilung und Hinrichtung eines Mörders. Der Verdächtige wird vor den Jujumann gebracht, der ein Orakel befragt. Er zündet Kräuter an, opfert etwas, wirft Knochen. Und wenn er weiß, ob der Verdächtige schuldig ist, spricht er sein Urteil. Dazu hat er einen Stab an seinem linken Arm. Legt er dem Verdächtigen den Stab auf die Schulter, weiß das ganze Dorf, dass der Verdächtige schuldig ist. Dazu spricht der Jujumann zugleich das Strafmaß aus. Es besteht nur aus einem Zeitraum. Das können sieben Tage sein, drei Wochen oder beispielsweise auch sechs Monate. Das ist nicht etwa die Zeit, die der Verurteilte gefangengehalten wird. Nein, das ist die Zeit, die er noch zu leben hat. Und genau das ist die ganze Verurteilung. Der Täter wird aus dem Dorf verbannt. Mit dem Wissen, nur noch sieben Tage, drei Wochen oder sechs Monate zu leben, stirbt er nach der gegebenen Frist ganz allein und von der Gemeinschaft ausgestoßen.

Fortsetzung folgt.


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