Ein Gang in die Stadt ist deprimierend. Destilliertes Wasser auf den Mühlen eines jeden Kulturpessimisten sozusagen. Über die vergangenen Jahre hinweg haben sich die lebendigsten und unterhaltsamsten Einkaufsstraßen in einen undurchschaubaren Komplex an Dauerramsch verwandelt. Ein unsäglicher Mix aus immergleichen Plastikketten, die „Café“ zu nennen der gute Geschmack streng verbietet. Dazu gesellen sich immer unappetitlicher aussehende und müffelnde Dönerbuden sowie Klamottenläden, aus deren Eingangsbereich schon der Gestank der krebserregenden Färbemittel strömt – da mag man nur weglaufen.
Teils ist das Publikum schuld, teils die Läden selbst. Auswahl findet man praktisch kaum noch. Gerade noch überlebende Buchläden schrumpfen ihre Klassikerabteilung mittlerweile auf ein daumennagelgroßes Regal, in dem dann feilgeboten wird: Orwells 1984, ein paar Werke Mark Twains sowie Jules Vernes und – Humor ist, wenn man trotzdem lacht – ein halber Meter Jean-Paul Sartre. Leute, wenn der Rest des Ladens nur noch aus Kalender- und Postkartenmüll sowie dem Abverkauf der Spiegelbestsellerliste besteht, braucht ihr euch auch nicht zu wundern, wenn die Leute, die überhaupt noch lesen, sich ihren Stoff woanders besorgen.
In der Stadt übrig geblieben sind größtenteils nur noch zweibeinige Ruinen, die durch die Gassen und Zeilen torkeln. Meist übergewichtig, auf jeden Fall aber überproportional rauchend – längst optischer Beleg für körperliche und geistige Verkommenheit. Da wird bewusst, an welcher Stelle Marx aus heutiger Sicht besonders Unrecht hatte. Der Prolet will gar kein besseres Leben nicht:
Der Prolet will schlicht
fressen & saufen,
ficken & kaufen.
Andres nämlich kennt er nicht.
Selbst Brecht hat heute Unrecht, denn nicht mal nach dem Fressen kommt Moral. Moral, die gibt es nicht. Weder in den Hütten noch in den Palästen. Und zu kaufen gibt es sie auch nicht mehr, weil sie als Produkt nämlich für die ganzen 1-Euro-Läden viel zu teuer wäre.
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