Boris Sawinkow, Das fahle Pferd

Wenn jemand was verbockt hat, man aber nicht weiß, wer es verbockt hat, ist es nicht ganz einfach zu meckern, weil man den genauen Adressaten nicht kennt.
Gleichwohl nervt, wenn die Böcke ein Produkt verfälschen oder sogar in einem nicht nicht wirklich abschätzbaren Maß verschlechtern.

Das ist bei der Neuübersetezung vom fahlen Pferd leider der Fall. Für die Übersetzung zeichnet Alexander Nitzberg verantwortlich, ein im Klappentext hochgelobter Übersetzer aus dem Russischen, selbst aus Moskau gebürtig.
Auch wenn Nitzberg in Moskau geboren wurde, entzieht es sich meiner Kenntnis, mit welcher Muttersprache er aufgewachsen ist. Sollte es Russisch gewesen sein, könnte dies schon das ein oder andere Manko erklären, denn gewöhnlich übersetzt man in seine Muttersprache. Schließlich sind die Färbungen, die ein Muttersprachler übers Leben lernt, beim Zweitspracherwerb niemals aufholbar. Womöglich liegen hier also schon erste Hinweise auf den Hintergrund der sprachlichen Mankos.

Andererseits würde ich dann erwarten, dass ein deutschsprachiger Verlag mit einem deutschsprachigen Lektorat solche Mankos ausbügelt. Lektorin war Anke Albrecht. Aus eigener Erfahrung weiß ich leider, dass sich der Lektor nicht immer durchsetzen kann mit seinen Korrekturwünschen.

Kommen wir aber zur Übersetzung an sich: Sie liest sich insgesamt recht hölzern. Ob Sawinkow im Original seines ersten Buchs so schlecht geschrieben hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Falls ja, sind seine „Erinnerung eines Terroristen“ jedenfalls wesentlich besser geschrieben – oder der dortige Übersetzer ist besser als Nitzberg und hat sich mehr Freiheiten genommen.

Man kann Sawinkow aber nicht in die Schuhe schieben, dass so manche deutsche Wortwahl schlicht falsch ist. Ein paar Beispiele:
Herr Nitzberg mag es nicht wissen, aber es gibt einen semantischen Unterschied zwischen O und Oh. Wenn ich „O Tannenbaum“ sage, ist das was anderes als „Oh, du hast den Tannenbaum schon aufgestellt?“ Das eine ist Anrufung, das andere Verwunderung. Herr Nitzberg jedenfalls (oder die Lektorin) wählt grundsätzlich die falsche Form. Die Kunst der korrekten Zeichensetzung, in dem Fall Komma oder nicht, geht dem Gespann ebenfalls ab.

Aber auch grammatisch zeigen sich Schwächen. Deutlichste Anzeichen sind umgangssprachliche Wendungen wie der Imperativ „Wickel!“ anstelle des korrekten „Wickle!“ mit obligatorischem End-e. (Deshalb heißt es ja auch richtig „fei(e)re mit uns“ und nicht „feier mit uns“). Herr Nitzberg scheint auch das nicht zu wissen oder ignoriert es schlicht. Solche Beispiele gibt es immer wieder. Es ist schon Deutsch, aber nicht korrekt. Aber auch bei Fremdsprachen patzt das Team. So zitiert Sawinkow an einer Stelle angeblich die lateinische Wendung „suum ciuque“. Wer sich wundert, hat Latinum. Dem Rest klingt es vermutlich mehr oder weniger vertraut. Trotzdem heißt die Wendung „Jedem das Seine“ auf Latein „suum cuique“. Höre ich da jemanden „Buchstabendreher!“ sagen? Okay. Könnte sein. Dann frag ich mich aber, warum derselbe Fehler sowohl im Text als auch in der Anmerkung so steht. Und wenn Sawinkow es schon falsch gemacht haben sollte, erwartete ich eine Kenntlichmachung durch [sic!] oder Ähnliches.

Das alles mag jetzt wie totales Korinthenkackertum wirken. Das Problem ist aber Folgendes: Wenn ich bei einigen fehl eingesetzten Ausdrücken erkennen kann, dass da jemand die Sprache nicht beherrscht, wer garantiert mir dann, dass der Rest korrekt übertragen ist? Wie oft sind Bedeutungen falsch, ohne dass der des Russischen unkundige Leser es merken oder beurteilen kann?

Um auf den Anfang zurückzukommen: Natürlich kann ich nicht wissen, wer der eigentliche Urheber der Böcke ist. Die Fehler können von Herrn Nitzberg gemacht und von der Lektorin übersehen worden sein. Vielleicht hat er sich auch über ihr Urteil hinweggesetzt. Vielleicht hat sie sogar erst Fehler in den Text gebracht, denn wer sagt uns, dass ihr Lektorat gut genug ist, solche Macken zu beurteilen? Aber wer auch immer es verbockt hat, zuletzt hat der Verlag Galiani versagt. Und auf diese Weise nimmt er dem Text viel Wert. Denn der Leser kann nicht sagen, ob der Text eher wegen Sawinkow oder wegen Nitzberg so mau ist. Zudem fällt es schwer, dem Text zu trauen. Das finde ich angesichts der Aktualität des Themas Terrorismus besonders ärgerlich.


Beitrag veröffentlicht

in

, , ,

von

Kommentare

Eine Antwort zu „Boris Sawinkow, Das fahle Pferd“

  1. Avatar von Corinna

    So eine ausführliche Kritik liest der Verlag hoffentlich und nimmt sie sich zu Herzen. Dann hast Du das Buch wenigstens nicht umsonst gelesen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: