Terrorismus ist eine seltsame Sache. Dass Individuen sich für eine vorgeblich große (ideelle) Sache opfern, kennt man in dieser Art aus dem Tierreich nicht. Klar kommt es vor, dass eine Ameise ihr eigenes Leben ignoriert, weil ihr Staat ihr wichtiger „erscheint“. Aber eine Ameise denkt nicht vernunftbewehrt darüber nach, sie hat keine Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen ihre Selbstopferung.
Entstanden ist der menschliche Terrorismus in der modernen Form im Kampf gegen Despoten. Im engeren Sinne war er nicht religiös bedingt, wobei manche Ideale fraglos den Charakter einer Religion erreichen (ich erinnere da gern an den ein oder anderen Marxisten o.Ä., aber auch in anderen Umfeldern gibt es entsprechende übersteigerte Ansichten). Deswegen erklärt sich Terrorismus auch nicht immer mit der Vorstellung einer jenseitigen Belohnung. Manche terrorisieren auch einfach für die scheinbar gute Sache oder – wenn es für sie selbst gut ist – für Geld. In diese Riege fällt letztlich jemand wie Ilich Ramírez Sánchez, bekannter unter dem Tarnnamen Carlos, dem es im Prinzip ziemlich egal war, ob er andere Menschen für die sozialistische Weltrevolution, die Befreiung Palästinas oder eben fürs eigene Konto skrupellos abmurkste.
Ob man von der aktuellen Welle wirklich behaupten kann, dass es sich um religiös motivierten Terrorismus handelt, möchte ich ehrlich gesagt bezweifeln. Wenn man sich die Lebensläufe der Täter anschaut, hat man eher den Eindruck, hier eine soziale Gruppe zu finden, die man auch aus anderen sozialen Zusammenhängen kennt. Ein Großteil, wenn nicht alle1 Täter der letzten Jahre fallen durch eine Konstante auf: Es sind Abgehängte. Während die hiesigen christlich-atheistisch Abgehängten sich als Stimmvieh für Demagogen instrumentalisieren lassen, fehlt den Abgehängten aus einer islamisch gefärbten Heimat diese Form gesellschaftlicher Teilhabe in Form von Wahlen sogar. Das betrifft nicht allein immigrierte Täter, sondern gilt vielfach auch für in Deutschland, Belgien, Frankreich oder Großbritannien aufgewachsene Menschen, denen die volle gesellschaftliche Teilhabe aus welchen Gründen auch immer verweigert wird. Mal dürfen sie nicht wählen, mal finden sie weder Ausbildung noch Arbeit. Da ist es kein Wunder, dass sie die erstbeste Gelegenheit nutzen, die ihnen jemand bietet, weil er sie scheinbar „abholt“, wie man so schön sagt, und sei es im Dienste des islamistischen Terrorismus. Ähnliches erlebte man schon im Nordirland des 20. Jahrhunderts, als v.a. die katholischen Familien in kleinste Behausungen gequetscht wurden. Die IRA bot ein Gemeinschaftsgefühl, auf das man sich verlassen konnte, wenn man nicht gegen ihre Regeln verstieß. Und genau genommen fallen die Abgehängten, die sich im Terror austoben, auf vergleichbare Lügenmärchen herein wie das oben genannte Stimmvieh. Der Unterschied ist lediglich, dass den einen Märchen fürs Jenseits erzählt werden, während die anderen an Märchen fürs Diesseits glauben. Egal was eintreten wird: Es werden Märchen für beide Arten der Abgehängten bleiben, selbst wenn die vorgeblichen Bedingungen zum Wahrwerden der Märchen erfüllt werden.
Diese Ausgeschlossenheit, vielfach vermengt mit wirtschaftlichen Problemen, Kriminalität oder Alkohol (dazu gehört z.B. sowas wie der NSU), lässt den Einzelnen eine enorme Machtlosigkeit fühlen. Sie ist wie ein Vakuum, das irgendwie gefüllt werden will und das mit Aktion scheinbar gefüllt werden kann. Das gilt letztlich sogar für frühere Epochen des Terrors, wie Nazianschläge in den 20ern zeigen, als die Parteigänger dieser Partei eben auch mehrheitlich Abgehängte waren.
Neben diesem roten Faden des Terrorismus fällt aber eine andere Sache auf: die Art der Anschläge. Spätestens seit den 60ern nehmen sie nämlich ein Phänomen auf: die Verschränkung des Terrors mit der Popkultur.
Zur Hochzeit des europäischen Terrorismus gab es in den Lichtspielhäusern eine grandiose Welle neuartiger Western. Leone, Corbucci und Co. haben mit dem sogenannten Spaghettiwestern eine Machismowelle erzeugt, die noch über Jahrzehnte spürbar ist (vgl. Tarantinos Western). Von den Tupamaros München, den deutschen „Stadtguerilleros“, weiß ich, dass sie die Gestik, das Handeln, das Schießen und das Recht des (momentan) Stärkeren aus den Filmen in die Realität umsetzen wollten. Sie wiedererlebten sich als moderne Westernhelden, die aus ihrer Sicht lediglich für die gute Sache kämpften und dazu das Leinwandverhalten imitierten.
Ein ähnlicher Effekt tritt inzwischen bei den Abgehängten des Daesh auf. Die Art, wie sie Attacken durchführen, und die Tatsache, dass diese Art ausdrücklich von den Strategen des Möchtegernkalifats empfohlen wird, nimmt ebenfalls popkulturelle Szenen auf. Heute orientieren sich die im oder am Westen aufgewachsenen Abgehängten aber weniger am Kino. Sie werden längst durch ein Popmedium inspiriert, das Unterdreißigjährigen wesentlich näher steht: Videospiele. Attacken, die eher Amokläufen als einem klassischen terroristischen Akt gleichen, folgen einer Dramaturgie, wie man sie seit Mitte der 90er-Jahre von Spielen wie Grand Theft Auto kennt, ohne dass sie dort mit eigentlichem Terror verbunden sind.
Für den Daesh und seine Fans hat diese Aufnahme zugleich den Vorteil, Terror zu einem billigen Massenphänomen zu machen: Die heikle Beschaffung von Waffen oder die mit Schwierigkeiten verbundene Herstellung von Sprengstoffen ist nicht länger erforderlich. Es ist eine Art Demokratisierung des Terrors.2
Terror ist also seit Jahrzehnten zu einer zwar negativ konnotierten, aber stark übersteigerten Abart des Pop für Abgehängte geworden. Deshalb ist es auch folgerichtig, dass diejenigen, die derartige Taten begehen, in ihrer jeweiligen Peer-Group als Helden, vulgo Märtyrer, gelten. Auch hier greift eben Warhols Satz der 15-minütigen Berühmtheit.3
Über die Jahre haben sich lediglich die Medien gewandelt. Wurden die Täter in den 70ern noch in Underground-Flyern und -Zeitschriften bejubelt, dienen heute YouTube und Facebook als Medium zur Verbreitung der Eigenerzählung. Hier wird der Terror sogar selbstreferentiell, weil er der Bühne, der er entwachsen ist, immer näher kommt. Anders gesagt: Es dürfte nicht mehr lange dauern und anstelle des modernen Räuber-und-Gendarm-Spiels Counterstrike mit ihren abstrakten Terroristen tritt ein echtes Terrorspiel, in dem es im Ego-Modus oder vielleicht im VR-Modus darum geht, Züge, Flugzeuge und Ähnliches möglichst spektakulär zu zerstören und dabei möglichst viele Spielfiguren ins digitale Jenseits zu befördern. Das mag gerade in der zeitlichen Nähe des jüngsten Anschlags schrecklich zynisch klingen, aber der Tag, an dem ein solches Spiel erscheint, wird kommen, und sei es als Undergroundspiel. (Oder gibt es das womöglich bereits? Ich bin da leider nicht mehr auf dem aktuellsten Stand.)
Ich fürchte sogar, dass diese Popreferenz so weit geht, dass Terror nur noch das ist, was in der Populärkultur stattfindet, über das also möglichst in bewegten Bildern berichtet wird. Das ist meiner Meinung nach sogar einer der Gründe, warum hiesige Gewalttaten sofort unüberlegt diesem Tatumfeld zugeordnet werden. Töten dagegen Drohnen irgendwo am Hindukusch ganze Familien, ohne dass es Bilder davon gibt, können wir es als Tat, ja als Terrorakt nicht wahrnehmen.4 Es geschieht auf einem blinden Fleck der öffentlichen Wahrnehmung.
Mich interessierte, ob diese Referenzialität wirklich erst mit dem großen Aufkommen des Pops entstanden ist. Oder kann sie womöglich schon am dilettantischen Terrorismus im Zarenreich oder den Bombenlegern der Nazis beobachtet werden? Eine Art Popkultur gab es ja auch damals schon in den Groschenheftchen. Aber enthielten sie auch Ansichten oder Haltungen jenseits ideeller Färbungen, die als Blaupause fürs eigene Handeln dienten? Oder brauchte es eher die Verrohung des ersten Weltkriegs für dieses gewissenlose Handeln, das ja auch den Serienmord auf ganz neue Höhen brachte?
Im Umkehrschluss bedeutet es zugleich, dass der Terror der kommenden Jahrzehnte sich schon heute in der Popkultur abspielt. Wer wissen möchte, wie Terror in den 2030ern aussehen wird, muss die Popkultur beobachten.
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1 Mir fehlt leider gerade die Zeit zum Nachprüfen, gleichwohl möchte ich die folgenden Gedanken schon jetzt veröffentlichen.
2 Während parallel andere Kriminalität eine Art Elitisierung erlebt hat: Wer heute bei einem Banküberfall richtig Geld verdienen möchte, geht nicht mit einer Waffe in ein Institut oder sprengt Automaten auf. Er studiert finanzwirtschaftliche Fächer und/oder Informatik und sorgt mit seinem Know-how hinter den Kulissen für einen stillen Besitzerwechsel der Gelder.
3 Ausnahmen wie der UNA-Bomber bestätigen die Regel, wobei dieser letztlich auch mehr oder weniger unfreiwillig die moderne Einzelkämpfergeschichte Hollywoods reproduziert, allerdings ohne über eine eigentliche Peer-Group zu verfügen.
4 Dazu kommt natürlich noch die journalistische Färbung, die dafür sorgt, dass solche Drohnenanschläge als „bedauerliche Kollateralschäden“ des selbsternannten Weltpolizisten gelten, für die natürlich niemand belangt werden kann. Das führt dann zu so abstrusen Ansichten, dass der Anschlag auf den russischen Botschafter in Ankara ebenfalls kein Terror, sondern Vergeltung für Putins Kriegsverbrechen sein soll. Solche Realitätsbiegerei ist kaum weniger zynisch als Putins Handeln, weil mit diesen Techniken letztlich jede Handlung gerechtfertigt werden kann.
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