Die Moral des Mooraals

Moral. Noch son Thema, zu dem ich von der Kantistin gelöchert wurde, bis ich zurücklöcherte.
Sie wollte wissen, ob ich an Moral glaube, wenn ja, wie die aussähe.
Ich stellte im Verlauf des Gesprächs kühne Thesen auf, von individueller Moral, von Gruppenmoral und übergeordneten gesellschaftlichen Moralen (ja, den Plural gibt es).

Nach meinen Überlegungen dürfte die individuelle Moral die älteste Form der Moral sein, sie existiert aber fort in jedem von uns. Sie macht, dass wir uns morgens noch im Spiegel anschauen mögen (sofern sie halbwegs genordet ist und wir nicht irgendwelchen psychischen Schäden unterworfen sind). Selbstverständlich unterscheiden sich die indidividuellen Moralen von Subjekt zu Subjekt. Meine individuelle Moral mag deiner ähnlich sein, es wird dennoch Punkte geben, in denen sie sich unterscheiden – mal mehr, mal weniger. Dürfte auch etwas mit der eigenen Wahrnehmung der Umwelt zu tun haben.

Entwicklungsgeschichtlich jünger ist die Gruppenmoral, obwohl sie mit der Menschwerdung und der damit verbundenen Sozialverbändelung von Sippen oder darüber hinausgehenden Gruppierungen Hand in Hand geht. Sie ist eine weiche Form von Gesetzen, eher mündlich kodifiziert, aber durchaus mit Sanktionen verbunden. Sie ist der Grund, warum eine Gruppe von Menschen losziehen und z.B. einer anderen Gruppe von Menschen eins aufs Dach geben kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Es fällt auf, dass diese Moral nach innen anders wirkt als nach außen, sie gehört daher auf ihre Weise zu den klassischen Doppelmoralen.

Wir alle wissen, dass diese Art der Moral auch heute noch genauso wirkt, dass sie im Zweifelsfall sogar auf sehr große Gruppen wirken kann. Sie hat zudem eine reziproke Wirkung: Einerseits ist sie ideal als Moral für Gruppen, andererseits schweißt sie Gruppen auch zusammen, wie man durch die gesamte Menschheitsgeschichte bis in die Gegenwart beobachten kann (und das wird sich in Zukunft leider auch nicht ändern, solange der Mensch Mensch bleibt).

Irgendwann reichten die Gruppenmoralen nicht mehr aus zum Zusammenleben. Die Gruppen wurden größer, interagierten miteinander. Es entstand die Notwendigkeit, Supramoralen zu entwickeln, möglichst mit echten Sanktionen. Natürlich wurden sie aber auch nicht universal angenommen oder bisweilen nur theoretisch. Die Menschenrechte sind ein besonders schönes Beispiel dafür.

Interessant wird nun die Anwendung der verschiedenen Moralstufen (natürlich vor allem auf bewusste Handlungen bezogen; der Affekt nähme hier eine Sonderstellung ein). Es scheint, dass wir relativ willkürlich und selbstbestimmt uns die Moral greifen, die uns gerade am besten passt. Schlimmer! Ich bin sogar überzeugt, dass wir uns die anzuwendenden Moralen situationsbedingt zurechtbiegen, allermeist in dem Sinne, für uns persönlich die ideale Schonhaltung fürs Gewissen zu erhalten. Wir wägen ab, wir gewichten, was für uns bzw. unsere Umwelt am besten ist. Das gilt besonders, wenn unsere moralbedingten Handlungen Folgen für andere haben. Es gilt aber auch, wenn unser Handeln durch übergeordnete Moralen sanktioniert werden kann.

Und hier wird es erst richtig spannend: Wonach gewichten wir?

Erst jüngst las ich, dass nicht das Strafmaß darüber entscheidet, ob Straftaten (nicht) begangen werden, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Es klingt plausibel und sollte es stimmen, dürfte es ein Hinweis darauf sein, wie wir gewichten.

Was aber in folgender Situation: Es gibt zwei Personen A und B. Person A hat etwas getan, was sowohl nach meiner individuellen als auch nach der gesellschaftlichen Moral falsch ist, weil es Person B geschadet hat. Dummerweise ist Person A mein bester Freund, den ich, folgte ich den Moralen, ans Messer lieferte. Ich hätte also nur die Wahl, wem ich schade. Ich glaube, die Gewichtung fürs Handeln orientierte sich hier bei den meisten Menschen daran, wie schwerwiegend der Schaden ist, den A der Person B zugefügt hat.

Machen wir mal Farbe aufs Gedankenexperiment: A hat B ein Bonbon geklaut. Wohl niemand würde seinen Freund A dafür ankacken. Was aber, wenn A von B ein Kind entführt hätte? Was, wenn das Kind es bei A definitiv deutlich besser hätte als bei B? (Ich kam auf die Idee nach diesem Film hier.)

Wie gewichten wir? Wer mag bei der Beantwortung dieser Frage helfen?


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