Mein Vater hatte Dinge, die typisch für ihn waren, die ich mit ihm verbinde, oft sogar nur mit ihm.
Seine gescheitelte Frisur mit der hohen Stirn erzeugte er jahrelang mit einer ungewöhnlichen Bürste: Es war eine runde flache Bürste in Orange, ohne Handgriff, weil man sie als Ganzes in die Hand nahm, um die Haare in Form zu bringen. Ihre Borsten waren ebenfalls aus Kunststoff und ich bin mir ziemlich sicher, dass die komplette Bürste in einem Stück gespritzt war. Ich weiß weder, wo diese Bürste abgeblieben ist, noch habe ich später jemals so eine Bürste gesehen.
Auch der Rasierhobel, der jahrelang im Allibert unserer Gästetoilette gelegen hatte, ist irgendwann verschollen. Als ich ihn mal auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt hatte, habe ich erst die Form von Rasierklingen verstanden. Ich kann mich nicht erinnern, meinen Vater jemals bei der Nassrasur gesehen zu haben. In meiner Erinnerung gibt es nur den Elektrorasierer, der natürlich ebenfalls orange war. Den hatte ich mir als 14-Jähriger unter den Nagel gerissen, als ich den ersten lächerlichen Flaum unter der Nase entdeckte.
In der Bar oben hatte mein Vater allerlei Spirituosen. Vieles davon waren Geschenke, manches aus dem Urlaub mitgebracht, das Meiste wurde ewig lange nicht getrunken, bis ich irgendwann zusammen mit Freunden anfing, mit der ganzen Plörre herumzuexperimentieren. Da stand ein Whiskey (schlecht), eine Flasche Küstennebel, Cognac, Sherry, Weinbrand, Schnaps, Aquavit – ach, allerlei Fusel und sonstiges Zellgift.
Als meine Schwester aus dem Raum neben der Bar nach unten in den neu ausgebauten Kindertrakt zog, übernahm mein Vater diesen Raum als Büro und für seine Amateurfilmutensilien. Hier lag überall Zeichengerät herum, Kunststoffstifte von Castell und die passenden Minen, von denen ich heute noch 40 Jahre alte Päckchen herumfliegen habe, Tuschstifte, Zeichenpapier auf Rollen, Rasierklingen samt Halter, um Fehler auf den Tuschzeichnungen korrigieren zu können, Rechenschieber und Lineale und anderes Zeugs. An einer Wand hatte mein Vater eine schmale weiße Metallschiene angebracht, auf der waren immer ganz viele bunte Magnete, von denen ich heute auch noch einige besitze. Er nutzte sie, um hier seine Filmstreifen aufzuhängen, wenn er seine Amateurfilme schnitt. Dazu hatte er einen einen kleinen Kasten, ähnlich einem Projektor, nur dass der das Bild vom Film auf einen kaum handgroßen Bildschirm warf. Mittels zweier Kurbeln konnte der Film bildgenau hin- und hergerollt werden. War die richtige Stelle für den Schnitt gefunden, wurde der Film getrennt. Dann konnten die einzelnen Schnipsel auf einem zweiten Gerät mit Kleber und einer Art Tesafilm wie gewünscht zusammengeleimt werden. Dazu trug mein Vater immer weiße Baumwollhandschuhe, die er von einem befreundeten Bestattungsunternehmer bekam. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal dabei war, als er einen Stoß Handschuhe bei dem Unternehmer abholte. Das war derselbe Bestatter, der meinen Vater unter die Erde brachte. Die Handschuhe habe ich Jahre später zum Breakdancen missbraucht.
Unten in der Küche hing an der Wand lange ein großes Holzbrett mit einem superscharfen Fischmesser. Ich glaube, meine Eltern haben es mal bei einer Tombola des Presseballs gewonnen. Das Messer verbinde ich komischerweise nur mit meinem Vater, weil er, als er es einmal benutzt hatte, sich prompt in den Finger geschnitten hatte. Meine Mutter benutzte es gar nicht, weder vorher noch nachher. Auch ansonsten hatten wir allerlei Zeugs, das unsere Eltern beim Presseball gewonnen hatten: die bereits genannten Stövchen mit den Pfännchen, eine Espressomaschine mit kleinen Tässchen (Letztere fliegen auch irgendwo bei mir herum, obwohl ich sie kaum brauche).
Oben in der Bar hatte mein Vater zwei Wandschränke. In ihnen lag ebenfalls mancher Kram. Für uns Kinder war es immer oberspannend, darin herumzustöbern. Mal fanden wir alte Fotos unserer Eltern, mal fanden wir ein Pfeifenset meines Vaters. Er hatte mit dem Rauchen aber bereits aufgehört, bevor meine Erinnerung einsetzt.
Als Kind hatte mein Vater einmal auf einer Halde einen großen Ammoniten entdeckt und nach Hause geschleppt. Seine Mutti warf den unnützen Stein sofort in den Müll.
An einer Wand der Bar hing lange eine Zeichnung meiner Mutter, die hatte sie machen lassen, als unsere Eltern gemeinsam in Paris gewesen waren. Irgendwo an der Seine hat sie sich da zeichnen lassen, mit Buntstift auf einem festen graublauen Papier. An der Wendeltreppe nach oben hingen ebenfalls viele Jahre vier oval gerahmte Schattenschnitte der ganzen Familie: mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich. Die Schattenschnitte sind einmal auf dem Essener Weihnachtsmarkt angefertigt worden, ich kann mich sogar noch genau erinnern, wo der Stand gewesen war (an der Nordseite des Kennedyplatzes).
Anderen Krams hatte mein Vater auch in den Schränken unter der Stereoanlage gehortet. Da war zum Beispiel ein Tonbandgerät, das aber schon lange nicht mehr richtig funktionierte. Irgendwann, da muss ich so 12 gewesen sein, entdeckte ich auch das Diktiergerät, das mein Vater sich kurz vor seinem Tod gekauft hatte. Als ich es entdeckte, war ich wie elektrisiert. Ich suchte passende Batterien, weil die alten natürlich längst leer waren und startete das Band. Mein Vater hatte es noch gar nicht richtig verwendet, sondern lediglich mit „eins, zwei, drei, Test, Test, Test“ besprochen. Und ich war erschreckt. Es waren erst wenige Jahre vergangen, aber ich erkannte seine Stimme nicht auf dem Band, obwohl ich genau wusste, dass er es gewesen war. Damals fiel mir zum ersten Mal auf, wie vergänglich Erinnerung ist.
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