Im Amateurfilmclub meines Vaters war auch ein Student, ein Herr Zeiss. Aus welchen Gründen auch immer setzte die Hälfte der Welt, die ich damals kannte, viel auf Herrn Zeiss. Er konnte sehr gut Mathe, und als meine Schwester in ihrem ersten Jahr auf dem Gymnasium in Mathe einknickte, bekam sie Nachhilfeunterricht von Herrn Zeiss. Damals trug meine Schwester kurzzeitig eine Brille, die sie zu ihrem Glück bald wieder los war, zumal man ihr ein selten hässliches Exemplar gekauft hatte. Herr Zeiss war der erste Mensch, den ich persönlich kannte und der ein Buch geschrieben und veröffentlicht hatte. Es hieß „Sommersemester, Wintersemester“ oder umgekehrt. Bei der Auflösung der Wohnung hatte ich mir einige Bücher geschnappt, darunter auch dieses schmale Gedichtbändchen, das in irgendeinem Dödelverlag erschienen war. Als ich mit 14 oder 15 zum ersten Mal bewusst darin herumblätterte, las ich den Namen Kierkegaard. Ich glaube nicht, dass mein Vater wusste, wer Kierkegaard gewesen war.
Komischerweise erinnre ich mich nicht daran, dass mein Vater mich jemals zum Kindergarten gebracht oder von dort abgeholt hätte. Ich erinnre mich aber noch daran, dass mein Opa väterlicherseits hin und wieder nachmittags kam und mich mit nach Hause nahm. Er strahlte dabei eine sehr warme Freundlichkeit aus, ja in meiner Erinnerung möchte ich fast sagen, ihn nie freundlicher erlebt zu haben als in diesen Momenten so fern von Frau und gewohnter Umgebung. Einmal malte ich im Kindergarten unsere Familie. Ich habe die Bilder heute noch, zum Glück mit handschriftlichen Notizen meiner Mutter. Auf mehreren Bildern ist entweder die Familie als Ganzes zu sehen oder aber einzelne Personen. Auf einem der Bilder steht mein Vater vor einer unförmigen Amöbe. Der Notiz auf dem Bild entnehme ich, dass ich damals erklärt hatte, mein Vater habe Angst vor einem Geist.
Schreibe einen Kommentar