Mein Vater (10)

Ich glaube, mein Vater aß gern, kann mich aber nicht explizit daran erinnern. Er aß das versalzene Essen seiner Mutti, die er auch mit 42 noch Mutti nannte, er aß das Essen meiner Mutter, die ich mit 42 noch Mama nenne. Er aß Rührei und Spiegelei und Spinat und Pfannkuchen und Schnitzel und Steak. Er aß Eintöpfe und Hausmannskost, er aß Nudeln und Reis und Fleisch. Er kochte auch manche Sachen, am besten konnte er wohl Pastasciutta, das ich damals nicht mochte wegen der Paprika, was besonders doof war, als meine Mutter ihre Mandeln herausoperiert bekam, das wurde damals stationär gemacht, also mit längerem Krankenhausaufenthalt, und mein Vater kochte fast jeden Tag Pastasciutta mit Paprika, und meine Schwester liebte es, aber ich eben nicht wegen der Paprika.

Und mein Vater aß auch gern fremdländisch, z.B. beim angeblich ersten Italiener in Essen, Franco, den es meines Wissens heute noch gibt, und auch bei anderen Italienern. Einmal waren wir beim Italiener am Ende der Karstadtpassage, da wo sich heute nur noch ranzige Matratzen-Discounts und King-Size-Betten-Anbieter halten können. Und bei diesem Italiener an der Treppe gab es einen Musiker, der kam mit seiner Gitarre an die Tische und spielte und es war mir peinlich, als er mal zu uns kam und das Schlumpflied spielte und irgendwas dazu trällerte, keine Ahnung, ob es italienisch war, keine Ahnung, ob es das Schlumpflied auf Italienisch gibt, auf jeden Fall mochte ich es nicht leiden, so im Mittelpunkt zu stehen, schon damals nicht, und erst recht nicht mit dem Schlumpflied, schließlich fand ich das doof. Zum Geburtstag Schlumpfbettwäsche von Tante Irmchen und Onkel Heinz zu bekommen war ähnlich doof, aber wenigstens hatte ich Unterwäsche mit Spiderman. Als die mir zu klein war, Unterhose und Unterhemd, bekam sie ein entfernter Cousin, der genauso heißt wie ich, nur ohne h und der mich damals aus welchen Gründen auch immer irgendwie für cool zu halten schien. Und wir aßen auch oft beim Chinesen an der Rüttenscheider Straße. Der Chef war – optisch jedenfalls – kein reinrassiger Chinese. Nach Aussehen, Aussprache und seinen Kenntnissen über Holland glaube ich, dass er halb Chinese, halb Holländer war. Anders die Kellner, das waren echte Chinesen, aber ohne Kontrabass, und die fanden meine Schwester und ich immer lustig. Der eine war ganz hager und dürr mit einem faserigen Schnurrbart und einem Dackelblick und der schlurfte immer ganz langsam durchs Lokal, war aber trotzdem aufmerksam und eigentlich auf Zack, er summte immerzu irgendwelche Melodien, irgendwas Chinesisches und total unbeeindruckt von der Claydermann-Endlosschleife vom Band. Der andere Kellner war das totale Gegenteil: dick, mit einem Mondgesicht und einer weiter fortgeschrittenen Glatze, über die er sich die Haare seitlich kämmte. Der sang nicht und schlurfte nicht, aber freute sich immer genau wie sein Chef. Nur einmal haben sie sich nicht gefreut, da hatte meine Schwester mit ihrer Freundin in deren Hinterhof gespielt und eine Prothese aus dem daneben gelegenen Sanitätshaus stibitzt und durch ein offenes Fenster in einen Suppentopf in der Küche des Chinesen geworfen. Natürlich schimpften die Chinesen, erfuhren aber nie, dass meine Schwester es gewesen war. Ich muss überlegen, was ich damals da gegessen habe, allzu exotisch sicher nicht, lange Zeit muss es Tomatensuppe mit Hühnerfleisch gewesen sein, später auch Frühlingsrolle und irgendwann Nudeln mit Krabben. Krabben mochte ich gern, genau wie meine Mutter. Überhaupt aßen wir zwei eher Fisch als meine Schwester und mein Vater, z.B. gern samstagmorgens auf dem Markt ein frisches Krabben- oder Matjesbrötchen, die lustigerweise im Ruhrgebiet frischer sind, als ich sie jemals in Holstein serviert bekommen habe. Meine Schwester aß beim Chinesen meist Satéspieße, bis sie sich mal den Magen verdorben hatte und die Wände hinter der Wendeltreppe volllgekotzt hatte, danach verzichtete sie länger auf den Chinesen. Meine Mutter wollte jedes Mal etwas Neues bestellen, bestellte dann doch das Gleiche und beschwerte sich dann bei uns über das Durcheinander auf der Platte. Was mein Vater dort bestellte, weiß ich nicht mehr, ich weiß aber noch, dass er und meine Schwester mich beim Chinesen gern verulkten: Wenn die Warmhalteplatten kamen, legten sie den Finger drauf und sagten „total kalt“ und konnten ihre Finger drauf liegen lassen, und wenn ich meine Finger draufgelegt habe, war die Platte heiß und beide lachten. Konditionierung half hier nicht. Wir gingen auch woanders essen, zum Beispiel ins Wildhaus, einem Jägerrestaurant vor Bad Honnef, in das später ein Swingerclub zog. Und da im Wildhaus waren meine Großeltern väterlicherseits dabei, denn es war in der Nähe des Ferienhauses. Und meine Oma wollte „Pommes frittes“ bestellen und durfte nicht, weil mein Opa nicht wollte, dass sie so neumodisches Zeug aß, und ihr Bratkartoffeln als Beilage bestellte. Und wir waren auch essen mit den reichen Bekannten und fuhren in einem großen Jeep da hin und das fand ich toll. Und der Jeep hatte damals eine der ersten Standheizungen mit Zeitschaltuhr, sodass der Wagen warm war, als wir aus dem Lokal kamen. Es muss daher Winter gewesen sein oder zumindest kalt, sonst wäre mir das kaum erinnerlich, aber Schnee hatte es nicht gegeben, denn ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in den Jeep geklettert bin. Und wir aßen auch gern zu Hause, meine Mutter kochte oft und viel, so wie sie es als Mädchen schon für ihren Vater und meinen Onkel gemacht hatte, weil meine Oma unterwegs war für Henkel. Henkel, Henkel und Persil, das erzählte meine Oma oft, das war das Beste, und sie bekam zur Rente eine gute Pension und die Amerikaner haben ja bloß die Formel von Persil geklaut, das war nämlich das einzige Waschpulver überhaupt, hilfst du mir, die Bettwäsche recken, Thorsten?, fragte meine Oma zwischen dem Bügeln, wenn sie mir nicht gerade Wilhelm Busch vorlas oder Comics oder mit mir spazieren ging in der Gruga oder im Stadtgarten oder am Baldeneysee. Gerade am Baldeneysee war mein Vater so gut wie nie mit mir, wenn ich mich recht erinnre, vermutlich waren da zu viele Wege, denn mein Vater spazierte am liebsten dort, wo keine Wege waren, selbst mit seinen Eltern, wenn wir sechs im Westerwald durchs Unterholz kraxelten und meine Oma schimpfte, dass ihre Seidenstrümpfe zwischen den Baumstümpfen zerrissen und ihre Pumps im Matsch kaputt gingen, weil sie immer dachte, beim Spazierengehen müsste sie sich mit Perser oder Fuchsstola schick machen, damit die Leute sehen, dass sie Geld hatte.


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