Julia Franck, Die Mittagsfrau

Das Buch hat mich einerseits gefreut, andererseits geärgert. Nicht immer ist es leicht, eine gute Geschichte zu finden oder zu konstruieren. Die Ausformulierung ist dann oft erst der zweite Schritt.

Keine Frage: Die Geschichte, die Franck hier erzählt, ist enorm interessant. Es ist die Lebensgeschichte der Halbjüdin Helene und ihrer Schwester Martha, wie beide die 20er- und 30er-Jahre sowie den zweiten Weltkrieg in Bautzen, Berlin und Stettin erleben. Was man geschildert bekommt, ist zwar durchweg interessant, aber leider selten plastisch.

Das Problem ist nämlich der Stil! Der Stil!! Wie heißt noch mal dieser Grundschulstil „Er stand auf. Dann ging er in die Küche. Dort kochte er sich einen Kaffee. Dann trank er den Kaffee. Nach dem Kaffee verließ er die Wohnung und ging spazieren …“? Ich komm leider gerade nicht auf den Ausdruck dafür. Egal. In dieser Art sind nun mehr als 400 Seiten gefüllt. Besonders pikant: Recht zu Anfang gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur Helene von sowjetischen Soldaten vergewaltigt und dabei von ihrem Sohn beobachtet wird. Der Sohn sieht dabei ihren glasigen Blick, mit dem sie quasi durch ihn hindurchschaut. Diese Distanz ist in etwa die Stimmung, in der das Buch die Geschichte schildert.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Buch funktioniert das sogar, kann also die Geschichte stützen. Aber Franck macht sich leider nicht die Mühe, die Schreibe zu ändern, wenn sie aus der Perspektive der kindlichen Helene oder ihres 7-jährigen Sohns erzählt.

Und um den Ganzen auch noch einen draufzusetzen, hat es mich ganz besonders geärgert, im Klappentext Ausschnitte aus der Rezension der Welt am Sonntag zu lesen, in der lobhudelnd von Francks „schnörkelloser, poetischer Sprache“ die Rede ist, von einem „nüchternen Erzählton“. Scusi, das ist weder nüchtern noch poetisch, sondern stumpfsinnig. Und der lustige Hinweis aus der FAZ, demzufolge man im Buch das „Wesentliche … mit der Nase riechen kann“, ist blank gelogen. Franck schafft es zwar in der Tat, sehr fein zu beobachten und Zeitgenössisches interessant zu schildern. Aber ausgerechnet riechen kann man im ganzen Text eigentlich gar nichts, wenn man mal von einer Überdosis Kölnisch Wasser und einem nach Jauche stinkenden Waggon absieht, der sehr wahrscheinlich mit Naziopfern vollgestopft ist. Da bin ich nicht erst seit Marlantes anderes gewohnt.

Trotz allem möchte ich das Buch dennoch empfehlen.


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Kommentare

  1. Avatar von Corinna

    Wahrscheinlich hat sie vor diesem Roman die gleichen Empfehlungen gelesen wie ich unlängst. Ich erinnere mich nicht mehr an alles, aber ungefähr so: Mehr als 200 Worter überfordern den durchschnittlichen Leser, also: kurzfassen. Dazu zähle auch, keine Sätze mit mehr als 25 Wörtern zu schreiben; oh, und schon gar nichts im „bösen“ Passiv. Da verstehe „man“ nämlich den Sinn eines Satzes so schlecht.

    Manchmal frage ich mich, ob das Komma nur für mich erfunden wurde. Aber dann lese ich Texte wie diesen hier und denke mir, dass ich doch nicht ganz so unnormal bin. Danke. Ich werde das Buch nicht lesen.

    1. Avatar von doctotte

      Es würde mich fast wundern, wenn sie nach dieser Maßgabe geschrieben hätte. Dafür ist die Geschichte, sind manche Beobachtungen einfach zu gut. Und das ist ja auch der Knackpunkt, den ich besonders schade finde: Es ist eigentlich ein tolles Buch, aber die Qualität der Geschichte entspricht leider nicht der Qualität der Schreibe.

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