Graphic Novels sind derzeit noch etwas unüblich in der hiesigen Leseliste. Aus zweierlei Gründen möchte ich dennoch damit beginnen. Erstens plane ich, nach den Büchern auch das Regal mit Comics und dergleichen anzusprechen. Zweitens hatte ich mir dieses Werk als Thompson-Fan mit großer Vorfreude gegönnt – und wurde bitterlich enttäuscht.
Mit Verzögerung ist diese deutsche Übersetzung nun erstmals im Tolkemitt-Verlag erschienen. Tolkemitt, das ist der Mensch, der jahrelang das Merkheft von Zweitausendeins prägte und jetzt quasi direkt zuarbeitet. Zu den zugehörigen Qualitäten möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern, zur Qualität der Graphic Novel dagegen schon.
Bingley ist für die Geschichte und die Texte verantwortlich, Hope-Smith ist der Zeichner der Novel. Und ich habe echte Schwiergkeiten zu entscheiden, wer von beiden weniger fähig ist. Bingley gibt am Ende die Texte an, auf die er sich beruft. Das ist klasse, denn es sind bis auf wenige Ausnahmen Quellen von Thompson selbst. Quellen, die ich größtenteils sogar kenne. Umso überraschter war ich, als ich etwas lesen musste, was mit diesen Quellen nichts zu tun hat. Das Leben, das Bingley von Thompson zeichnet, ist eine blasse, langweilige Selbsttäuschung.
Holla? Selbsttäuschung? Blass? Langweilig? Okay, mir ist klar, dass man das Leben des Mannes, der Gonzo erfunden hat, von seinen Texten trennen muss. Aber dass Thompson langweilig gelebt hat, kann man wohl getrost vergessen. Wichtige Zeiträume in Thompsons Leben kürzt Bingley erschreckend ab. Andere lässt er gleich unter den Tisch fallen.
Thompsons Leben bei den Hell’s Angels, die ihn schon mal nachts auf ne Party besucht haben und viel Spaß mit ihm hatten? Geschenkt. Für Bingley sind die Angels von Anfang an das, was sie heute schon sind: Verbrecher. Thompsons lebenslange Faszination für Motorräder interessiert kaum.
Thompson’s Schilderungen des Angriffs auf Grenada und sein Bezug zu Reagan? Och ist schon nicht wichtig. Weg damit!
Thompson erzählt immer und immer wieder, wie sehr es ihm gefiel, unter Drogeneinfluss nachts in der Wüste herumzuballern, weil er das Mündungsfeuer so mochte. Für Bingley vollkommen uninteressant.
So könnte ich seitenweise weitermachen. Dazu kommen dann noch so Kleinigkeiten, bei denen ich Details wesentlich anders in Erinnerung habe. Zugegeben, ich könnte mich da täuschen. Einmal, zweimal, dreimal. Aber gleich Dutzende Male? Das würde mich doch etwas wundern. Wen es interessiert, dem empfehle ich einen Vergleich der Episode „Der Briefkasten“ in der Graphic Novel (Seiten 21–24) mit dem gleichnamigen Kapitel in Königreich der Angst (Seiten 28–33). In diesem Beispiel gibt Bingley zwar den Inhalt grob wieder, übertreibt aber an einer Stelle unnötig und erhöht den kleinen Hunter ohne jede Not.
Das Schlimmste, was Bingley verbricht, ist aber eindeutig, dass er überhaupt nicht in der Lage ist, Thompsons Witz auch nur im Ansatz einzufangen, darzustellen oder wiederzugeben. Vermutlich wirkt Thompson deswegen eher als Langweiler denn als der Großkotz, der er auch sein konnte.
So. Und jetzt noch ein Ton zu den Bildern. Hope-Smith, so kann man hinten lesen, hat sich ebenso wie Bingley zum ersten Mal an einer Graphic Novel versucht. Das merkt man auch an den Zeichnungen. Viele sind etwas ungelenk, oft etwas unfertig und vermutlich unabsichtlich unanatomisch. Ein guter Gag ist beispielsweise das Bild oben links auf der Seite 48, hier hat Hope-Smith mal eben den rechten Arm von Thompson vergessen. (Oder soll der Arm plötzlich oberdürr sein und hinter die Tür reichen? Man weiß es nicht.)
Nun ja, ich hatte es in der Einleitung bereits verraten: Ich bin enttäuscht. Der Thompson-Fan wird mit diesem Buch nicht bedient. Schade, Bingley, schade, Hope-Smith, und schade, Tolkemitt. Euer vorgeblich großer Wurf ist leider ein Murmelschnipps.
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