Frankenstein ist vermutlich mit Stokers Dracula eins der bekanntesten und zugleich ungelesensten Bücher der Geschichte. Jeder kennt es – oder glaubt es wenigstens aufgrund einer oder mehrerer der zahllosen Verfilmungen zu kennen. Dass die wenigsten Leinwandstreifen etwas mit den zugrundliegenden Originalen zu schaffen haben, interessiert nicht. Warum auch? Man müsste das Original ja erst mal kennen und wer macht sich die Mühe schon?
Bei beiden Büchern ist die Mühe es wert. Zum Stoker werde ich mich demnächst äußern, daher liegt das Interesse hier zunächst auf Shelleys Text.
Das Missverständnis beginnt schon da, dass eine Verkürzung stattgefunden hat. Selbst der größte Teil der Leute, die die Geschichte kennen, sprechen von dem erschaffenen Wesen als Frankenstein. Leser, die geflissentlich mit Worten umzugehen verstehen, hängen wenigstens das konzisere Monster an den Namen. Aber auch das trifft es nicht ganz. Natürlich musste eine so unbändige Gestalt, die laudanumgezeugte Elemente des nietzscheianischen Übermenschen vorwegnimmt, den Zeitgenossen als ein Monster vorkommen. Aber deutet nicht schon Shelley selbst mit dem Beisatz „der neue Prometheus“ mehr an? Geht es nicht eher um eine Art Weiterentwicklung? Und zudem um das Problem des Schöpfers von Bewusstsein?
Der Text, vorgeblich einem Traum erwachsen, den Shelley hatte, als sie zusammen mit ihrem späteren Mann Percy Bysshe Shelley, Lord Byron und Dr. Polidori einen Sommer nahe des Genfersees verbrachte, ist auf seine Weise visionär. Unsere modernen Frankensteins wirken allerdings weniger an Leichen als vielmehr an Stammzellen und Klonen, oft unbedacht und skrupellos, oft glauben sie aber auch die gute Sache. Was immer sie aber antreibt, dieser Roman bleibt eine Warnung für jede Wissenschaft. Und genau deshalb bleibt er als Buch interessant, so romantisch verkleistert er an vielen Stellen auch ist.
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