Es gibt wohl nur wenige Bücher, die so aussehen und sind wie ihr Thema. Moby-Dick gehört definitiv dazu. Was uns Deutschen Goethe mit seinem ewig besserwisserischen Salbadern scheint dem US-Amerikaner Melvilles Meisterwerk. Ich erinnre nur an den Grundgag in Woody Allens Zelig, der zum menschlichen Chamäleon wurde, weil er in der Schule nicht zugeben wollte, Moby-Dick nicht gelesen zu haben.
Nicht immer, aber in diesem Fall macht dieses Merkmal den Text so spannend. Er ist wie ein 8000er, den man einfach mal erklimmen muss. Klar, die Geschichte kannte ich längst in einer Kinderversion, auch die tolle John-Huston-Verfilmung mit Gregory Peck als Captain Ahab (Peck spielte nebenbei in der tollen TV-Verfilmung von 98 ebenfalls mit, diesmal allerdings als Prediger).
Lange ist’s her, da hatte ich es auf englisch probiert und bin kläglich im Basislager meiner Penguin-Ausgabe gescheitert. Jahre später hörte ich dann davon, dass sich Friedhelm Rathjen, seines Zeichens ein Satellit im Universum Schmidt-Joyce-Wollschläger, einer Neuübersetzung verschrieben hatte, weil ihm die bisherigen deutschen Übersetzungen zu verstümmelt und/oder zu frei übersetzt waren.
Irgendwann im Verlauf der Arbeit gab es ein Probekapitel in einer Zeitung zu lesen (war es die Frankfurter Rundschau? Ich glaube, sie war es), das mir durchaus gefallen hat. Zu der Zeit war ich im Rahmen eines Saga-Seminars selbst mit dem Thema Übersetzungen beschäftigt, in dem es um die Frage ging: so nah wie möglich am Original oder so nah wie möglich an der aktuellen Sprache? Dialekte übertragen? Damals war ich noch der Meinung, möglichst textnah sei am besten – Rathjen ausweislich der Probearbeit ebenfalls. Vermutlich fand ich seine Arbeit wegen dieser gleichen Herangehensweise so spannend. Gut, leider gab es Zores zwischen Rathjen und dem ursprünglichen Verlag, das Werk blieb zunächst liegen, bis sich Zweitausendeins der Sache annahm. Als es erschien, war ich natürlich elektrisiert und besorgte mir die schön gestaltete Ausgabe sofort. Der Neuübersetzung wurden wunderbare Holzschnitte von Rockwell Kent zur Seite gestellt.
Und dann las ich. Und las. Ich kämpfte mich durch die Seiten, erfuhr vielerlei interessante, aber auch belanglose Details über Wale, den Walfang, vor allem aber über das überdimensionierte Wissen des Unnützen, das Melville nicht nur angehäuft, sondern auch wie einen Popanz vor sich herträgt. Und je mehr Seiten ich las, desto mehr nahm ich Abschied von der Übersetzerphilosophie, nah am Original zu bleiben. Oder um mit einer meiner Professorinnen zu sprechen: „Wenn Sie die Sagas nah am Original übersetzen wollen, müssen Sie sie ins Mittelhochdeutsche übersetzen. Das wäre nämlich nah am Original.“
Kurzum: Ich weiß nicht, ob ich Moby-Dick jemals wieder lesen werde, vor allem in dieser Übersetzung; aber ich weiß, dass mir der Text sehr vieles sehr nahe gebracht hat, über das ich mir zuvor nur wenig Gedanken gemacht habe. Das Buch bleibt eben ein 8000er, ich habe ihn ohne Sauerstoff bestiegen und bin glücklich über die Leistung, habe aber ein paar Erfrierungen davongetragen.
Herman Melville, Moby-Dick oder Der Wal
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Kommentare
5 Antworten zu „Herman Melville, Moby-Dick oder Der Wal“
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[…] rund um die Seefahrt mag, so hadere ich ja auch ein wenig mit Melville, gerade wegen seines Monstrums. Als ich diese Ausgabe von Typee in die Finger bekam, konnte ich aber nicht nein sagen. Ich kaufte, […]
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[…] sich stets in die Menschen seiner Umgebung verwandelt, nachdem es als Kind nicht zugeben wollte, Moby Dick nicht zu Ende gelesen zu […]
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[…] meisten Lesern dürfte – zumindest grob inhaltlich – Moby Dick bekannt sein. Der Kreis der Leser, die das zugrundeliegende Unglück kennen, fällt […]
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Habe ihn vor geraumer Zeit auch erklommen, den literarischen 8000 – in der Übersetzung von Jendis, die mir genügend Sauerstoff liess, um die steileren Anstiege zu nehmen. Wunderbares Buch: ein Monstrum und zugleich in vielem hochmodern.
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Auf jeden Fall! Ich denke auch, dass es definitiv in den Kanon der zu kennenden Bücher gehört! 🙂
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